Die Atheistische Perspektive - 3. Teil
Bericht vom dritten Tag der internationalen Convention in Köln
Katholisch operieren, evangelisch Fenster putzen
Die Sprecherin der von IBKA, gbs und Denkladen initiierten Kampagne "Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz" (GerDiA), Ingrid Matthäus-Meier, stellte in ihrem Vortrag den aktuellen Fortschritt dieser Kampagne vor. Das zugrundeliegende Problem, über das dringend aufgeklärt werden müsse, fasste sie in einem Satz zusammen: "Katholisch operieren, evangelisch Fenster putzen".
Mit ihrer rheinländischen Art kann sie auch an einem Sonntagmorgen das Publikum für ein Thema begeistern, das mit Paragraphen und Juristen-Jargon überfüllt ist. Dabei ist es doch eigentlich ganz einfach, erklärte sie: "Gleiches Arbeitsrecht für alle".
Und damit sprach sie an, was in allen Ländern Europas Selbstverständlichkeit zu sein scheint, außer in Deutschland. Über den sogenannten "Dritten Weg" haben Kirchen das Recht, kirchliche Arbeitgeber in prekären Arbeitsverhältnissen zu beschäftigen, in denen sie Eingriff auf die Privatsphäre der Personen nehmen können. Wer aber glaube, dass damit nur Priester und Ordensleute betroffen seien, liege falsch. So berichtete Ingrid Matthäus-Meier von einem geschiedenen Arzt, der aus seinem katholischen Krankenhaus entlassen wurde, nachdem er wieder heiratete. Sie erzählte von einer geschiedenen Kindergärtnerin, die zu ihrem Freund zog, und der darauf hin gekündigt wurde. Schlussendlich hielt sie auch eine Stellenausschreibung in der Hand, in der ein katholischer Arbeitgeber um eine Putzhilfe wirbt und dabei die Voraussetzung auflistet, dass diese allerdings auch den katholischen Glauben und dessen Lehren vertreten solle.
Um an dem nicht mehr zeitgemäßen Gesetz festzuhalten, was in der Weimarer Republik seinen Ursprung fand, ließen sich die Kirchen einiges an Argumenten einfallen. So solle sich das gesonderte Arbeitsrecht aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht heraus ergeben. Abgesehen davon, dass es so etwas in der Tat nicht gebe (stattdessen gebe es ein Recht auf Selbstordnung und -verwaltung), eröffne das den Kirchen einen rechtsfreien Raum, in dem sie tun und lassen könnten, was sie wollen. Auch würde ja, so die Kirchen, es keinen großen Unterschied zwischen dem Zweiten und Dritten Weg geben. Aber dann müsse man sich fragen warum die Kirchen so energisch an ihrer Sonderstellung festhielten, gab Ingrid Matthäus-Meier zu bedenken. Auch solle das finanzielle Engagement der Kirchen in sozialen Einrichtungen durch ein solches Gesetz honoriert werden, wenden häufig die Kirchen ein. Hier musste Ingrid Matthäus-Meier Klarheit schaffen: "Die kirchlichen Institutionen sind weitaus weniger wohltäterisch als sie sich geben". Häufig werden kirchliche soziale Einrichtungen gänzlich von Steuergeldern bezahlt". Und wenn es eine finanzielle Beteiligung der Kirchen gebe, dann liege sie bei 6% oder weniger. Dass von deutschen Steuergeldern kirchliche Institutionen bezahlt werden, müsse sich ändern: "In Deutschland leben 30,8 Millionen konfessionsfreie Menschen", diese müssten sich, so Ingrid Matthäus-Meier, nicht weiter gefallen lassen, dass sich Kirchen auf ihre Kosten bereichern und gleichzeitig ihre Arbeitnehmer diskriminieren.
Atheismus und Menschenrechte in Afrika
Leo Igwe thematisierte die Situation von Freidenkern und Atheisten sowie massive, religiös bedingte Menschenrechtsverletzungen in Afrika.
Zunächst berichtete Igwe über seinen persönlichen Weg zum Humanismus. In seinem Heimatland Nigeria arbeitete er als Priester und predigte Inhalte, die er selbst nie geglaubt hat. In dieser Zeit fühlte er sich wie gefesselt. Da er in der Religion keinen Raum zum Denken fand, bat er den Bischof um Entlassung. Später ist eine Freidenkergruppe von ihm gegründet worden, welche eine Zusammenarbeit mit der Atheist Alliance International (AAI) einging.
Bis heute sei Atheismus ein Tabu in vielen Ländern, insbesondere auch in Afrika. Atheisten würden nicht mit Respekt behandelt und wegen Religion und Aberglauben diskriminiert und verfolgt. Atheistische Strömungen seien in Afrika praktisch unsichtbar, aber nicht etwa, weil es keine Atheisten gebe, sondern weil sie keinen Freiraum erhielten und ihre Rechte (sowie Rechte anderer Minderheiten) nicht deklariert wären. Zudem sähen sie sich mit Anfeindungen in der Bevölkerung konfrontiert, da sie in der Regel als Kriminelle, die keine Moral hätten, angesehen würden. Freidenker müssten sogar wegen religiöser Fundamentalisten um ihr Leben fürchten. Dies sei der Grund, warum sich kaum jemand traue, dort für humanistische Positionen offen einzustehen. Die Situation der Minderheiten sei besonders schlimm in Ländern mit Staatsreligionen.
Besonders gefährliche Ausmaße nehme der religiöse Wahn in der Verfolgung von Menschen an, die der Hexerei beschuldigt werden. Zahlreiche Kinder und Frauen würden aufgrund abergläubischer Vorstellungen diskriminiert, missbraucht und rituell hingerichtet. Frauen, die als "Seelenesser" bezeichnet werden, und Albinos oder Kinder mit Wirbelsäulenverkrümmung seien praktisch ohne Rechte.
Die zentrale Aussage seines Vortrags war, dass säkulare, atheistische, freidenkerische Bewegungen sich nicht nur um die Rechte der Nichtgläubigen kümmern dürften, sondern um alle Opfer religiöser Verfolgung. Mit Nachdruck rief er dazu auf, für die Rechte dieser Menschen einzustehen und ihnen zu zeigen, dass jemand sich um sie kümmere.
Fristlose Kündigung im (Vati-) Kanton Wallis
Vor zwei Jahren hätte die Einleitung zu diesem Vortrag ungefähr geklungen: Valentin Abgottspon ist Lehrer an einer staatlichen Schule im Oberwallis. In seiner Freizeit ist er Freidenker und setzt sich für die klare Separation von Staat und Kirche ein. Aber seitdem hat sich viel geändert. Aus einem Hobbyist ist ein Aktivist geworden, der selbst der religiösen Diskriminierung zum Opfer gefallen ist.
Begonnen hat es damit, dass Valentin Abgottspon im August 2010 einen Brief an die Schulleitung geschickt hat und unter anderem darin verlangte, dass Kruzifixe aus den Lehrräumen, in denen er unterrichtet, entfernt werden sollen. Dass Kruzifixe in Schulen dann abgehängt werden müssten, wenn sich Personen in ihrer Religionsfreiheit verletzt sähen, wurde schon in den 90er Jahren in der Schweiz per Bundesgerichtsentscheid entschieden. Valentin Abgottspon erwartete daher, dass man seiner Beschwerde nachkomme. Stattdessen wurde ihm nach weiteren Briefwechseln fristlos gekündigt. Abgottspons Fall erhielt daraufhin großes nationales und internationales Medieninteresse.
Wie ist es dazu gekommen? Im Kanton Wallis in der Schweiz enthält das Unterrichtsgesetz die klare Aufforderung an die Erziehungspersonen, ein Kind auf "seine Aufgabe als Mensch und Christ vorzubereiten". Und damit ist das Gesetz selbst nicht verfassungskonform. Die öffentlich-rechtlichen Kirchen haben im Walliser Kanton enormen Einfluss auf Schulen. So fallen regelmäßig Unterrichtsstunden aus, die dafür verwendet werden, Kinder auf religiöse Feiern wie Erstkommunion und Firmung vorzubereiten.
Valentin Abgottspon ist wegen seiner firstlosen Kündigung vor Gericht gezogen. Sollte er letztendlich Recht behalten, dann würde das für den Kanton Wallis einen großen Schritt in Richtung Religionsfreiheit bedeuten. Aber bis dahin ist es noch ein harter Kampf, der wohlmöglich über mehrere gerichtliche Instanzen geführt werden muss.
Krieg der Religiösen Rechten gegen Frauen
Thema des Referats von Rebecca Watson war die Entrechtung der Frauen durch religiöse Fundamentalisten.
Sie leitete ihren Vortrag mit der Frage ein, warum politische Parteien (insbesondere die Republikanische Partei der USA) Gesetze forderten, die die Frauenrechte beschneiden, indem sie sich beispielsweise gegen Abtreibung positionieren, und somit eine Meinung vertreten, die nicht der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung entspreche und den Stand der Gesundheit verschlechtere. Als Grund nannte sie den Wunsch dieser Parteien, religiöse Rechte zu schützen. Politisch einflussreiche Aktivisten versuchten laut Watson eine Theokratie zu errichten. Viele verträten die religiöse Doktrin, dass Frauen nicht im Besitz ihrer eigenen Körper seien und unter der Macht ihrer Ehemänner stünden.
Solche Bestrebungen seien zum Beispiel in der Forderung zu finden, Abtreibung zu verbieten – selbst wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung hervorgerufen wurde, oder das Leben der Schwangeren gefährdet sei. Da diese Aktivisten offensichtlich das Leben nicht empfindender Föten über das Leben leidensfähiger Frauen stellten, warf Watson die Frage auf, warum sich solche Gruppen "Pro Life" nennen. Während die Anzahl der Abtreibungen konstant bleibe, steige die Zahl der von Pro Life-Aktivisten ermordeten Frauen, die eine Abtreibung vornehmen.
Die antifeministische Entrechtung verbreite sich jedoch nicht vordergründig durch Gewalt, sondern durch reale Gesetze, wie Watson an einigen Beispielen aufzeigte. So sei im Bundesstaat Georgia eine Abtreibung ab der 20. Schwangerschaftswoche illegal. Begründet werde dies damit, dass ein Fötus in diesem Alter bereits Schmerz empfinden könne. Dies sei aber wissenschaftlich unbegründet. In New Hampshire seien Ärzte angewiesen, Abtreibungspatientinnen darüber aufzuklären, dass Abtreibungen das Brustkrebsrisiko erhöhten, was einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise nicht standhalte.
Ferner forderte sie atheistische Organisationen dazu auf, mit feministischen zusammenzuarbeiten, da eine große Schnittmenge an Positionen vorhanden sei. Zugleich bemängelte sie, dass es unter den Atheisten vereinzelte Individuen gäbe, die ähnliche Verschweigungstechniken anwendeten wie religiöse Fundamentalisten - auch wenn diese Individuen, wie sie betonte, nur eine kleine Minderheit bildeten.
Finanzen und Organisation von Weltanschauungen in Westeuropa
In seinem Vortrag verglich Carsten Frerk die Organisation der Kirchen mit der der säkularen Verbände Europas. Frerk, der Chefredakteur des Humanistischen Pressedienstes ist, kennt sich in diesem Thema bestens aus. Daher brachte er auch schon gleich zu Anfangs die Fakten auf den Tisch: "Man kann die katholische Kirche getrost als die erfolgreichste Geschäftsidee aller Zeiten betrachten".
Denn, so Ferk, habe die katholische Kirche in ihrer 2000-jährigen Firmengeschichte es geschafft, "trotz aller Diskrepanzen zwischen Marketing und tatsächlichem Handeln" immer noch Marktführer auf dem Gebiet der monotheistischen Religionen zu sein. So würden allein in Italien die Kirchen fast eine Milliarde Euro an Steuergeldern pro Jahr einkassieren, wobei die katholische Kirche den Löwenanteil davon abbekomme. Weitere 6 Milliarden würden durch Begünstigungen und staatlichen Besoldungen eingenommen werden. In Deutschland würden die Kirchen sogar 9,3 Milliarden Euro an Steuereinnahmen erhalten, der Staat nehme ihnen diese Arbeit (des Geldeintreibens) sogar unentgeltlich ab. Zusätzlich erhielten sie weitere 17,5 Milliarden Euro für ihre Einrichtungen, und das exklusive Caritas und Diakonie. Europaweit würden sich so die Einkünfte der Kirchen auf 80-100 Milliarden Euro belaufen, weltweit schätze man die Höhe des christlichen Umsatzes auf 1-2 Billionen Euro pro Jahr.
"Was aber verkaufen die Kirchen eigentlich?" wollte Carsten Frerk wissen und listete dann die Trugbilder der kirchlichen Wohlfühlprodukte auf: Emotionen, Rituale, Projektionsflächen wie "Frieden", "Familie", "Glück" und "Nächstenliebe", und Gemeinschaftsbildung. Aber vor allem würden sie eines garantieren: Gewissheit. Für ein Leben nach dem Tode. Für einen gütigen und zornigen allmächtigen Vater. Für das Amen in der Kirche.
Dies alles könnten die säkularen Organisationen nicht bieten. Statt Gewissheit gebe es Skeptizismus, Rationalität, Intellektualität und Individualität. Rituale, so Carsten Frerk, gebe es keine und dies könne manchmal auch ein Nachteil sein. Aber so zu werden wie die Kirchen wäre die falsche Perspektive. Stattdessen könne man ethische Grundsätze als Orientierungsleitfaden bieten wie das individuelle Selbstbestimmungsrecht; das Leben im Hier und Jetzt; keine Macht für Autoritäten, Götter oder sonstige Geister; und den Respekt vor denen, die auch andere respektieren.
Noch fänden in Europa säkulare Organisationen wenig Beachtung in gesellschaftlichen Diskussionen und politischen Gremien. Dennoch gebe es Erfolge zu verzeichnen. Schließlich seien in England und Deutschland nur noch 20% der Bevölkerung bekennende Christen. Das liege insbesondere daran, dass die Kirchen immer seltener Jugendliche für sich gewinnen können. Zwar nähme die Zahl der organisierten Konfessionslosen dadurch nicht zu, aber warum solle sie es auch? Sicherlich wäre ein starker Verband der Konfessionslosen in Deutschland, dem Land der Verbändedemokratie, hilfreich um gemeinsamen Interessen eine kritische Masse in der Politik zu verleihen. Dennoch würden Aktionen wie die Buskampagne 2009 verdeutlichen, dass atheistische Organisationen durchaus öffentliche Wirkung zeigen könnten. Aber die Tatsache, dass nur einer der sieben Initiatoren der spontan geplanten Buskampagne in einem atheistischen Verband organisiert gewesen sei, habe auch gezeigt, dass diese oftmals zu träge in ihren Beschlüssen seien. Andererseits hätte man lokal organisierte Gruppen oftmals sofort für die Kampagne begeistern können.
Für die Zukunft würde sich Carsten Frerk wünschen, dass man das Potential zwischen lokalen Gruppen und nationalen Verbänden besser ausnutze und somit weiter öffentliches Interesse schaffe.
Die Atheistische Perspektive - Bericht 1. Teil
alle Fotos © Evelin Frerk