9. Rechtsprechung und Kirchenstatus
In der bundesdeutschen Rechtsprechung sind christliche Einflüsse nachzuweisen. Das Reichskonkordat von 1933 sowie Länderkonkordate bestimmen das Verhältnis von Staat und Kirche in der BRD. Sie widersprechen dem Trennungsgrundsatz und sind für den katholischen Bereich auf der Grundlage des kanonischen Rechts, des Codex Iuris Canonici (CIC), abgeschlossen worden. Es gibt Gerichtsurteile aus neuerer Zeit, bei denen ganz offensichtlich nach altem Kirchenrecht verfahren wurde. Zu erwähnen sind Urteile im Zusammenhang mit dem "Gotteslästerungs-Paragraphen" (§ 166 StGB), dem ehemaligen Homosexuellen-Paragraphen (§ 175 StGB), dem Abtreibungs-Paragraphen (§ 218 StGB), Schulgebetsurteile, Kirchensteuerentscheidungen und Arbeitsgerichtsurteile nach dem sogenannten Tendenzschutzparagraphen. Auch Kruzifixe in Gerichtssälen und das Wirken von Anstaltsgeistlichen in Justizvollzugsanstalten bezeugen, daß das Verfassungsgebot der Trennung von Staat und Kirche im Bereich der Rechtsprechung noch längst nicht vollzogen ist.
Forderungen des IBKA:
- Das Privileg "Körperschaft des öffentlichen Rechts" für Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften ist zu beseitigen. Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften sind in privatrechtliche Institutionen umzuwandeln, die den allgemeinen vereinsrechtlichen Bestimmungen unterliegen. Art. 137 Abs. 5 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 - gemäß Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes - wird ersatzlos gestrichen. Der Körperschaftsstatus ist ein Relikt aus staatskirchlichen Zeiten, als die Kirche in das öffentliche Recht integriert und vom Staat privilegiert, aber auch von ihm beherrscht war. Der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus widerspricht der Verpflichtung des Staates zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität. Überdies erfüllen die dadurch privilegierten Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften nicht ein einziges Begriffsmerkmal, das von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erfüllt sein muß.
- Dem Grundgesetz entgegenstehende Konkordate und Kirchenverträge sind zu kündigen. Neue Verträge dieser Art dürfen nicht abgeschlossen werden. Ihre Gegenstände sind durch Gesetz oder, soweit erforderlich, durch Einzelvereinbarungen zu regeln. Der Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche gehört zu den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen in Deutschland. Die herrschende Staatsrechtslehre höhlt das Trennungsprinzip dadurch aus, daß sie sich auf Rechtsquellen, insbesondere Landesverfassungen und Kirchenverträge (Konkordate) beruft, die im Rang unter dem Grundgesetz stehen.
- Staatliche Gerichtsurteile, die sich ausdrücklich auf das Kirchenrecht (CIC) als Rechtsgrundlage berufen, sind verfassungswidrig und aufzuheben.
- Das Grundgesetz und die Landesverfassungen sind daraufhin zu überprüfen, wieweit sie der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates entsprechen.
- Religiöse, weltanschauliche und ethische Wertvorstellungen einzelner Personen und Gruppen dürfen nicht durch Gesetz für alle BürgerInnen verbindlich festgeschrieben werden.
- Die Paragraphen 166 und 218 StGB sind zu streichen.
- Sakrale Formen und Symbole (Schulgebet, Kruzifix, Eid) sind im Bereich aller staatlichen Institutionen (z. B. Gericht, öffentliche Schule) verboten.
- Die Befragung der BürgerInnen nach ihrer Religionszugehörigkeit durch staatliche Stellen (z. B. im Personenstandsgesetz) und entsprechende Angaben in öffentlichen Urkunden und Formularen widersprechen dem Verfassungsauftrag des weltanschaulich-religiös neutralen Staates und sind zu unterlassen bzw. zu streichen.