Argumente gegen einen geplanten Staat-Kirche-Vertrag für Hamburg

Hamburg hat es seit seiner Gründung nicht für angebracht, sinnvoll oder notwendig erachtet, einen Staat-Kirche-Vertrag abzuschließen.

Da bisher weder von Seiten der Kirche - noch von Seiten des Senats oder aus der Bürgerschaft -, eine Begründung für diese Absicht und diese Verhandlungen genannt wurden (außer ausweichenden Bemerkungen wie "Das würde der Kirche zustehen") sollen in aller gebotenen Kürze mögliche Aspekte in Verbindung mit einem Staat-Kirche-Vertrag benannt werden.

  1. Ein derartiger Vertrag ist ein Bruch mit uralten Hamburger Traditionen.
  2. Die Festschreibung des "status quo" bedeutet einseitige Rechtssicherheit zugunsten der Kirchen.
  3. Hamburg soll als letzte "Bastion" eingenommen werden.
  4. Die Mehrheit der Hamburger Bevölkerung sind nicht Mitglied einer der beiden Kirchen.
  5. Inhaltlich vertreten die beiden Kirchen nur noch 2,1 % der Bevölkerung.
  6. Die kulturelle Bedeutung der Kirchen und ihr ritueller Beitrag zum gesellschaftlichen Selbstverständnis werden immer nebensächlicher.
  7. Die kirchlich finanzierte Gemeinwohlarbeit ist eine Legende.
  8. Der Hamburger Bischofssitz ist ein politischer Affront.
  9. Fazit

1. Ein derartiger Vertrag ist ein Bruch mit uralten Hamburger Traditionen.

Bereits 1593 wurde das in der Kirchenordnung von 1556 vorgesehene leitende geistliche Amt nicht wieder neu besetzt, sondern der Rat / Senat übernahm selber die Kirchenaufsicht.

Hintergrund war das Verhalten der Kirche, die sich den wirtschaftlichen Belange und politischen Interessen der Stadt entgegen stellte und beispielsweise dafür gesorgt hatte, das die "merchant adventures" (englische Freihändler) aus der Stadt verwiesen wurden. Diese Haltung, sich ständig in die politischen Belange der Stadt einzumischen, spannt so einen Bogen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

"An seine Stelle trat als "Senior" der vom Rat / Senat gewählte amtsälteste Hauptpastor. Seine Rechte als geistlicher Führer der hamburgischen Kirche wurden im Laufe der Zeit aber immer weiter eingeschränkt, so daß er im 19. Jahrhundert in erster Linie die Aufgabe eines Verbindungsorgans zwischen Senat und Geistlichem Ministerium übernahm."1

Diese Staat-Kirche-Beziehung - die nicht von einer Gleichrangigkeit ausging, sondern von einer Unterordnung der Kirche als Religionsgesellschaft unter die staatliche Aufsicht -, wurde erst 1870 mit der Verabschiedung einer neuen Kirchenverfassung in Hamburg beendet.

Bis 1918 oblag die Verwaltung der Kirche noch dem Senat als Kollegium. Seit 1923 - mit einer neuen Kirchenverfassung -, war ein von der Landessynode aus dem Kreis der Hauptpastoren gewählter Senior Sprecher der Hamburger Kirche. (1933 - 1955 vgl. Punkt 8. Der Hamburger Bischofssitz ist ein politischer Affront.).

Die Idee, mit irgendeiner Kirche einen Staat-Kirche-Vertrag abschließen zu wollen, widerspricht grundlegend der Hamburger Tradition, weltoffen und zugleich seiner Macht bewusst zu sein, sowie für alle Kulturen und Religionen integrativ zu sein.


1 siehe: www.nordelbisches-kirchenarchiv.de (3. Landeskirche Hamburg, 30.02 Senioratsprotokolle)

2. Die Festschreibung des "status quo" bedeutet einseitige Rechtssicherheit zugunsten der Kirchen.

Es gehörte und gehört zu den guten Hamburger Traditionen, sich bei anstehenden Fragen mit allen für diese Fragen relevanten Organisationen an einen Tisch zu setzen, miteinander zu sprechen und Lösungen wie sachbezogene Vereinbarungen zu finden und abzuschließen.

Staat-Kirche-Verträge haben dagegen besondere Eigenarten, bei denen nicht zu erkennen ist, dass sie irgendwo ein besonderes Interesse der Stadt Hamburg und seiner Bürger berühren.

A. Sie sind in ihrer Laufzeit unbefristet.

Es widerspricht nicht nur Hamburger Tradition, sondern auch dem gesellschaftlichen Wandel - auf den Politik und Verträge reagieren (können) sollten -, unbefristete Verträge abzuschließen.

B. Sie sind nur im gegenseitigen Einvernehmen zu verändern / zu kündigen.

Jeder echte Vertrag gibt beiden Partner die Möglichkeit, unter Nennung der Gründe, den Vertrag auch einseitig - unter Wahrung bestimmter Fristen oder Bedingungen zu kündigen.

C. Sie heben die Vertragsschließenden damit auf die ,Augenhöhe' des Staates.

In diesem Falle wird die evangelische Landeskirche und das katholische Erzbistum über alle anderen Weltanschauungen und Glaubensgemeinschaften in Hamburg gestellt und damit unberechtigt und sogar grundgesetzwidrig privilegiert; denn Art. 3 Abs. 3 GG legt eindeutig fest: Niemand darf wegen . . . seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Alle Staat-Kirche-Verträge bevorzugen jedoch eindeutig die Kirchenmitglieder und die Institution Kirche. Sie sind darum grundsätzlich grundgesetzwidrig. Sie sind darum abzuschaffen und nicht neu zu errichten.

D. Sofern "Staatsleistungen" vereinbart werden sollen, ist zu fragen, welches politisches Interesse Hamburg und seine Bürger daran haben könnten.

Unter Staatsleistungen sind dabei nicht nur direkte Zahlungen aus allgemeinen Steuergeldern zu verstehen, sondern auch die Festschreibung bestehender staatlicher Finanzierungen kirchlicher Einrichtungen. Ein Beispiel:

  • 1954 wurde die Kirchliche Hochschule in Hamburg auf Drängen der Kirche als Evangelisch-Theologische Fakultät in die Hamburger Universität integriert. Die Hochschullehrer brauchen nicht nur eine kirchliche Lehrerlaubnis, auch die Absolventen sind ausschließlich in kirchlichen Zusammenhängen und für kirchliche Zwecke zu beschäftigen, so dass faktisch der kirchliche Nachwuchs aus Steuergeldern finanziert wird. Und auch dies ist aufgrund von Art. 3 Abs. 3 GG grundgesetzwidrig.

Finanzielle Vereinbarungen zur Zahlung von Dotationen, wie sie beispielsweise in anderen Bundesländern aufgrund älterer Rechtstitel bestehen, befinden sich zudem noch in einer weiteren Hinsicht nicht im Einklang mit dem Grundgesetz, da derartige bestehende Dotationen als Verfassungsauftrag nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 138,1 WRV abgelöst werden sollen und deshalb keine Legitimierung für neue Zahlungen vorhanden ist.

Der Hamburger Staat braucht diese "Rechtssicherheit" überhaupt nicht. Im Gegenteil, ein derartiger Vertrag würde seine Handlungsfähigkeit in gesellschaftlichen wie politischen Fragen knebeln und von dem ,guten Willen' der Kirchen abhängig machen.

3. Hamburg soll als letzte "Bastion" genommen werden.

Hamburg ist das einzige und damit letzte Bundesland, in dem es keinen Staat-Kirche-Vertrag gibt. (Der Vertrag mit der jüdischen Gemeinde und der Errichtungsvertrag mit dem Erzbistum sind in dieser Hinsicht keine solchen Verträge).

Eine historische Begründung gibt es in Hamburg für Staat-Kirche-Verträge nicht.

  • Hamburg hat sich als Land schon immer von der Vorgeschichte anderer Bundesländer unterschieden, da es als freie Reichsstadt politisch immer "bürgerlich" regiert wurde.
  • Durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurde in Hamburg kein Kirchenbesitz enteignet, für deren verloren gegangene Pfründe staatliche Ausgleichszahlungen hätten entrichtet werden müssen.

    (Die 1965 in Hamburg erfolgte "Ablösung" von Staatsdotationen - durch die Übertragung von Grundstückseigentum - betraf den Sonderfall der bis dahin preußischen Stadtteile, die auf Grund des Groß-Hamburg-Gesetzes 1937 dem Stadtgebiet eingegliedert wurden.)

  • Es hat in Hamburg niemals einen Fürsten als Landesherren gegeben, der in Personalunion als Landesbischof ein landeskirchliches Regiment - einschließlich der Mitfinanzierung seiner Landeskirche - ausübte. In diesem Sinne gab es in Hamburg auch keine Staatskirche, deren Mitarbeiter / Amtsträger staatlich alimentiert wurden und diesen Anspruch auch nach der Revolutionen 1918/19 in die Nachfolgeländer hinüber retten konnten.

Auch eine aktuelle Begründung ist nicht vorhanden, denn

  • die Anzahl der kirchengläubigen Mitglieder sinkt beständig,
  • der kulturelle Beitrag der Kirchen ist nebensächlich geworden und
  • die mit Kirchenmitteln finanzierte Gemeinwohlarbeit ist eine Legende.

4. Die Mehrheit der Hamburger Bevölkerung ist nicht Mitglied in einer der beiden Kirchen.

2003 waren (nach Auskunft des Nordelbischen Kirchenamtes und des Erzbischöflichen Generalvikariates) von der Hamburger Bevölkerung 32,7 % Mitglied der evangelischen Kirche und 10,3 % katholisch, zusammen also 43 % - eine Minderheit - und 57 % der Hamburger Bevölkerung sind nicht Mitglied in einer der beiden Kirchen.

Während der katholische Anteil sich seit rund dreißig Jahren stabil bei rund 10 % hält (vgl. anliegende Nr. 1), ist der Anteil der Evangelischen von 64,4 % in einer stetigen, beinahe linearen Abwärtsbewegung auf mittlerweile 32,7 % abgesunken. (vgl. anliegende Nr. 2).

Dieses Absinken ist nicht durch den Zuwachs der ausländischen Bevölkerung begründet, deren Anteil sich seit 1993 bei 15 % stabilisiert hat.

Für die Nordelbische Kirche sinken die Zahlen der Kirchenmitglieder beständig.

Waren 1977 noch 1.081.544 Hamburger Mitglieder der evangelischen Kirche, so sind es 2003 nur noch 567.471 Mitglieder. Bei Fortsetzung dieses Trends - ein Verlust von 11.-12.000 Mitgliedern oder 0,8 Prozentpunkten am Bevölkerungsanteil pro Jahr - wird die Evangelische Kirche in Hamburg im Jahr 2007 nur noch 29,9 % und im Jahr 2019 nur noch 19,9 Prozent der Hamburger Bevölkerung repräsentieren.

Anlage 1

Hamburg: Bevölkerung / Evangelisch, Katholisch 1970 - 2003
Jahr Bevölkerung insgesamt Evangelisch Katholisch Ev. und Kath.
Anzahl % Anzahl % Anzahl %
1970 -**) - - 178.440 9,9 - -
1971 - - - 180.999 10,2 - -
1972 - - - 175.568 9,9 - -
1973 - - - 168.052 9,6 - -
1974 - - - 167.029 9,7 - -
1975 - - - 161.274 9,4 - -
1976 - - - 163.254 9,6 - -
1977 1.680.340 1.081.533 64,4 162.965 9,7 1.244.498 74,1
1978 1.664.305 1.040.965 62,5 162.230 9,7 1.203.195 72,2
1979 1.653.043 1.023.868 61,9 157.745 9,5 1.181.613 71,4
1980 1.645.095 1.011.676 61,5 159.889 9,7 1.171.565 71,2
1981 1.637.132 992.785 60,6 159.754 9,8 1.152.539 70,4
1982 1.623.848 980.121 60,4 161.695 10,0 1.141.816 70,4
1983 1.609.531 (942.331*) 58,5 161.834 10,1 1.104.165 68,6
1984 1.592.447 904.540 56,8 165.131 10,4 1.069.671 67,2
1985 1.579.884 893.055 56,5 165.424 10,5 1.058.479 67,0
1986 1.571.267 877.810 55,9 169.359 10,8 1.047.169 66,7
1987 1.594.190 863.776 54,2 172.823 10,8 1.036.599 65,0
1988 1.603.070 783.665 48,9 158.878 9,9 942.543 58,8
1989 1.626.220 766.937 47,2 166.459 10,2 933.396 57,4
1990 1.652.363 754.713 45,7 177.158 10,7 931.871 56,4
1991 1.668.757 730.787 43,8 180.479 10,8 911.266 54,6
1992 1.688.785 716.936 42,5 179.157 10,6 896.093 53,1
1993 1.702.887 695.440 40,8 179.893 10,6 875.333 51,4
1994 1.705.872 687.187 40,3 180.440 10,6 867.627 50,9
1995 1.707.901 666.114 39,0 180.451 10,6 846.565 49,6
1996 1.707.986 649.454 38,0 180.777 10,6 830.231 48,6
1997 1.704.731 636.288 37,3 179.927 10,6 816.215 47,9
1998 1.700.089 (623.489*) 36,7 178.255 10,5 801.744 47,2
1999 1.704.735 610.689 35,8 177.881 10,4 788.570 46,2
2000 1.715.392 599.184 34,9 177.872 10,4 777.056 45,3
2001 1.726.363 587.321 34,0 178.940 10,4 766.261 44,4
2002 1.728.806 577.545 33,4 177.829 10,3 755.374 43,7
2003 1.734.083 567.471 32,7 178.165 10,3 745.636 43,0

Quelle: Statistikamt Nord: Statistisches Jahrbuch Hamburg 2004/2005, S. 29 nach Angaben der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche - Nordelbisches Kirchenamt und des Erzbischöflichen Generalvikariates

*) Für die beiden Jahre 1983 und 1998 liegen für die Nordelbische Kirche keine Angaben vor. Deshalb wurde der Mittelwert aus dem jeweils vorangegangenen und dem nachfolgenden Jahr gebildet. **) 1977 wurde die Nordelbische Lutherische Kirche gegründet, die aus den Gliedkirchen Eutin, Hamburg, Lübeck und Schleswig-Holstein gebildet wird. Vor 1997 liegen für das identische Gebiet Hamburg keine Zahlen vor. (Auskunft des Nordelbischen Kirchenamtes.)

Anlage 2

Kirchenmitglieder in Hamburg 1977 - 2003

Mitgliederentwicklung kath. und ev. Kirche 1977-2003

5. Inhaltlich vertreten die beiden Kirchen nur noch 2,1 % der Bevölkerung

Wie gering die Verbundenheit der Kirchenmitglieder mit ihren Kirchen ist, zeigt auch eine Umfrage aus dem Jahre 2002 (vgl. anliegende Nr. 3) nach der sich nur 11 % der Bevölkerung und nur 14 % der Protestanten als "gläubige Kirchennahe" verstehen.

Geht man zusätzlich davon aus:

  • dass sich 72 % der evangelischen Kirchenmitglieder überhaupt nicht mehr am Leben ihrer Kirchengemeinde beteiligen2 und
  • dass am 1. Fastensonntag Invokavit 2,4 % der Evangelischen in Nordelbien (54.000 von 2.234.000 Kirchenmitgliedern) den Haupt - oder Kindergottesdienst besuchen3, und
  • von den Katholiken im Erzbistum Hamburg (405.000) 13,1 % (53.000) als Teilnehmer/-innen am sonntäglichen Gottesdienst gezählt wurden4

und sich in der Kirchgangshäufigkeit eine öffentlich bekundete enge Verbundenheit und innere Übereinstimmung mit den Kirchen ausdrückt, so befinden sich in Hamburg nur noch 13.600 Evangelische und 23.300 Katholiken in innerer und äußerer Verbundenheit mit ihren Kirchen. Bezogen auf die gesamte Bevölkerung repräsentiert die evangelische Kirche 0,78 % und die katholische Kirche 1,34 % der Bevölkerung in Hamburg.

Diese geringen Größenordnungen - für wie viele Menschen in Hamburg die beiden Kirchen tatsächlich vertretungsberechtigt sind - dürften ein politisch-demokratisches Interesse des Hamburger Staates an einem Vertrag mit diesen Organisationen ausschließen.

Und wenn die EKD selber eine "ausgeprägte Entkirchlichung in den Stadtstaaten"5 feststellt, sollte es nicht das Anliegen des säkularen Senates / der Bürgerschaft sein, mit dahin schwindenden Organisationen langfristig bindende Verträge abzuschließen.

Die Zahl der Kirchenaustritte für die EKD liegt immer noch bei über 100.000 Kirchenaustritten pro Jahr. Von 1963 bis 2001 hat die Evangelische Kirche in Deutschland insgesamt 4,5 Mio. Mitglieder durch Kirchenaustritt verloren. Ebenso zeigt sich hinsichtlich der Mitgliederentwicklung, dass die Evangelische Kirche in Deutschland seit 1970 mehr Mitglieder durch Tod verliert, als sie über Taufen neue gewinnt. (vgl. anhängende Nr. 4) Dadurch sind seit 1970 rund 3,3 Mio. Mitglieder mehr verloren gegangen als durch Taufen hinzukamen.


2 Klaus Engelhardt. Hermann von Loewenich, Peter Steinacker (Hg.) "Fremde Heimat Kirche. Die dritte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft." Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1997, S. 387.

3 Statistisches Bundesamt: "Statistisches Jahrbuch 2003." Seite 97: Evangelische Kirche, Kirchliches Leben 2001, Gottesdienstteilnehmende, Nordelbien.

4 Statistisches Bundesamt: "Statistisches Jahrbuch 2003." Seite 98: Katholische Kirche, Kirchliches Leben 2001, Teilnehmer/-innen am sonntägl. Gottesdienst, Erzbistum Hamburg.

5 Evangelische Kirche in Deutschland: "Kirchenmitgliederzahlen am 31.12.2003". (Hannover), November 2004, S. 3.

Anlage 3

Einstellungen zu Kirche und Glauben
Bevölkerung / Ost-West / Konfessionen, 2002

Es beschreiben sich als*) gläubige Kirchennahe kritische Kirchen­verbundene kirchlich distanzierte Christen religiös, aber nicht christlich glaubens­unsicher nicht religiös
Bevölkerung Insgesamt**)
1999 11 23 32 6 7 18
2002 11 20 31 7 7 22
West
1999 13 25 36 6 7 11
2002 12 23 36 7 7 14
Ost
1999 5 10 16 5 10 48
2002 6 9 13 6 9 52
Protestanten
1999 12 28 38 7 8 6
2002 14 22 40 8 7 8
Katholiken
1999 18 33 33 4 5 5
2002 19 35 31 5 4 6
Ohne Konfession
1999 2 4 23 7 9 50
2002 0 4 22 7 11 52

*) Es stuften sich selber ein:

Gläubige Kirchennahe:
"Ich bin gläubiges Mitglied der Kirche, fühle mich der Kirche eng verbunden."
Kritische Kirchenverbundene:
"Ich fühle mich der Kirche verbunden, auch wenn ich ihr in vielen Dingen kritisch gegenüberstehe.
Kirchlich distanzierte Christen:
"Ich fühle mich als Christ, aber die Kirche bedeutet mir nicht viel."
Religiös, aber nicht christlich:
"Ich bin religiös, fühle mich aber nicht als Christ."
Glaubensunsichere:
"Ich fühle mich unsicher, ich weiß nicht, was ich glauben soll."
Nicht Religiös:
"Der Glaube sagt mir nichts, ich brauche keine Religion."

**) Nicht berücksichtigt: Insgesamt 2 % ohne Angabe "unmöglich zu sagen" (Differenz zu 100 %)

Quelle: Allensbach Archiv, IfD-Umfragen 4213, 7032 199 / 2002, Katholiken ab 16 Jahre / zitiert nach: Institut für Demoskopie Allensbach: Trendmonitor ,Religiöse Kommunikation 2003'. Bericht über eine repräsentative Umfrage unter Katholiken zur medialen und personalen Kommunikation - Kommentarband. Durchgeführt im Auftrag der Medien-Dienstleistung GmbH (MDG), S. 42 und Schaubild A-1.

Nur 11 Prozent der Bevölkerung in Deutschland betrachtet sich als "gläubiges Mitglied der Kirche" und fühlen sich ihrer Kirche "eng verbunden". Zusammen mit den weiteren 20 % (2002), die sich "der Kirche verbunden" fühlen, "auch wenn ich ihr in vielen Dingen kritisch gegenüberstehe", sind es weniger als ein Drittel der gesamten Bevölkerung (31 %) die als ,tatsächliche Kirchenmitglieder' zu betrachten sind.

Von den Protestanten stehen (2002) insgesamt beinahe zwei Drittel der Mitglieder (63 %) ihrer Kirche gleichgültig oder ablehnend gegenüber. Von den Katholiken sind es knapp die Hälfte (46%), die sich innerlich bereits von ihrer Kirche verabschiedet haben. Während sich diese Gleichgültigkeit bzw. Ablehnung bei den Protestanten von 1999 auf 2002 noch verstärkt hat (von 59 % auf 63 %), hat sich bei den Katholiken nichts verändert (47 % zu 46 %).

Anlage 4

Taufenüberschuss und Bestattungsüberschuss in der Evangelischen Kirche, 1953 - 2001

Taufenüberschuss und Bestattungsüberschuss 1953-2001

Seit 1969 / 1970 verliert die Evangelische Kirche mehr Mitglieder durch Tod als sie Nachwuchs durch Taufen bekommt. Seit 1970 sind der EKD auf diese Weise rund 3,3 Mio. Mitglieder ,verloren' gegangen.

6. Die kulturelle Bedeutung der Kirchen und ihr ritueller Beitrag zum gesellschaftlichen Selbstverständnis werden immer nebensächlicher.

Die Zeiten, als die Kirchen noch von sich selbst als "Volkskirche" sprechen konnten und damit unter anderem meinten, dass so gut wie alle Deutschen Kirchenmitglieder sind, sind - wie oben gezeigt wurde - vorbei und in Hamburg stellen die Konfessionsfreien die Mehrheit der Bevölkerung.

Der gesellschaftliche Beitrag und die Bedeutung der Kirchen zeigt sich jedoch neben der formalen Mitgliederzahl auch darin, wie viele Kirchenmitglieder in Deutschland die ,Passageriten' ihrer Kirche wahrnehmen. Als Beispiel: kirchliche Trauungen.

Bis 1970 wurden rund 80 % aller Eheschließungen in Deutschland mit einer Trauung auch kirchlich ,eingesegnet' (vgl. anhängende Nr. 5). Mittlerweile sind es nur noch 29 % der Eheschließungen, die anschließend auch kirchlich getraut werden. (15 % evangelische, 14 % katholische Trauungen hinsichtlich aller Eheschließungen). Mit anderen Worten: weniger als die Hälfte der formellen Kirchenmitglieder lässt sich auch kirchlich trauen und weniger als jede dritte Ehe wird überhaupt noch getraut.

Hinsichtlich einer - auch von den eigenen Mitgliedern - immer stärker abgelehnten oder gleichgültig betrachteten Kirche kann also keine Begründung für den Hamburg Senat / die Bürgerschaft liegen, mit einer derartigen Organisation gleichberechtigt zu verhandeln oder sie politisch als gleich berechtigt aufzuwerten.

Anlage 5

Eheschließungen und kirchliche Trauungen 1953 bis 2002

Eheschließungen und kirchliche Trauungen 1953-2002

7. Die kirchlich finanzierte Gemeinwohlarbeit ist eine Legende.

Immer wieder wird von Vertretern der Kirche in den Raum gestellt, dass die Kirchensteuer auch dazu diene, die Einrichtungen kirchlicher Träger - wie Krankenhäuser, Altenheime, Kindertagesstätten, etc. - mit kirchlichen Mitteln zu finanzieren. Diese kirchlich finanzierte Wohlfahrt ist eine Legende.

Konfessionelle Krankenhäuser werden so wie jedes andere Krankenhaus über Leistungsentgelte und Staatsgelder finanziert. Ebenso wird für Altenheime kein Cent aus Kirchenmitteln ausgegeben. Und der kirchliche Beitrag für die konfessionellen Kindertagesstätten ist nebensächlich.

Die Gelder, die von beiden Kirchen für ihre sozialen Einrichtungen aufgebracht werden, finanzieren nur rund 1,8 % der Aufwendungen für Diakonie und Caritas, die gegenwärtig bei rund 45 Mrd. Euro im Jahr liegen.

Beide Wohlfahrtsorganisationen sind (seit 1961) zu Sozialkonzernen angewachsen, während der Anteil der kirchlichen Finanzierung nicht mit gewachsen ist.

Bei genauerer Betrachtung werden mit kirchlichen Geldern - von kleineren Ausnahmen abgesehen - nur drei Bereiche finanziert:

  1. Bezuschussung der kirchlichen Kindertagesstätten (376 Mio. Euro) - dort werden die zukünftigen Kirchensteuerzahler erzogen.
  2. Ausgaben für die Funktionäre der Verbandsarbeit (300 Mio. Euro) - da die Organisationskosten nicht nur durch staatliche Zuschüsse abgedeckt werden.
  3. Beratungsstellen (146 Mio. Euro) - die gegebenenfalls auch die Funktion haben, die Ratsuchenden - wie ein Trichter -in die entsprechenden konfessionellen stationären Einrichtungen zu schleusen.

Berücksichtigt man zudem, dass der deutsche Staat gegenwärtig - durch die steuerliche Absetzbarkeit der gezahlten Kirchensteuer -, diese Kirchensteuer mit 3,5 Mrd. Euro im Jahr subventioniert, dann sind sogar diese ,Kirchen-eigenen Gelder' genau genommen staatliche Subventionen.

Es kann also weder die Rede davon sein, dass die konfessionelle Gemeindewohlarbeit kirchlich finanziert wird, noch entspricht es den Tatsachen, dass die finanziellen Mittel ,der Kirche' gemeinnützig eingesetzt werden.

Und wenn es in einer Pressemeldung heißt: "Geregelt werden soll unter anderem die Rolle der Kirche bei sozialen Aufgaben, die Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen, Feiertagsschutz und der Bestand von Friedhöfen"6 so ist dazu weiter festzustellen, dass das Grundgesetz festlegt (Art. 140 GG in Verb. mit Art. 141 WRV), dass die Seelsorge in Krankenhäusern und Strafanstalten zuzulassen ist - von ihrer staatlichen Finanzierung ist mit keinem Wort die Rede.

Auch die Aussage:

Die Kirche dient mit ihren kulturellen und sozialen Einrichtungen nicht nur dem engeren Kreis der Christen, sondern der Gesellschaft im Ganzen, Darum ist es nötig, dass sie von breiten Bevölkerungsschichten finanziell mitgetragen wird.7,

ist von einem Anspruchsdenken gekennzeichnet, das seine egoistischen Eigeninteressen als Verband beständig als Gemeinwohl deklariert.

6 Edgar Hesse: "Grünes Licht für den Staatskirchenvertrag", in: Welt am Sonntag (5 Februar 2005)

7 "Nordelbien - Kirche zwischen den Meeren. Information zur Kirchensteuer", unter: www.nordelbien.de

8. Der Hamburger Bischofssitz ist ein politischer Affront.

"Evangelische Bischöfe" kannte die Hamburger Landeskirche bis 1933 nicht. Der Senior der Geistlichkeit, der von der Synode aus dem Kreis der Hauptpastoren gewählt wurde, leitete die Kirche. Das Amt des Landesbischofs wurde durch Gesetz vom 29. Mai 1933 eingeführt:

Die Synode wählte am selben Tage Simon Schöffel zum ersten Landesbischof. Der Senior Karl Horn wurde übergangen. Seine theologische und politische Liberalität paßte nicht in die Zeit. Simon Schöffel kam dem Zeitgeist in der Rede nach seiner Wahl näher. Im Monat der öffentlichen Bücherverbrennungen in Berlin und anderen Universitätsstädten am 10. Mai und am 15. Mai in Hamburg erklärte er:

Wir grüßen den Staat, der neu geworden ist, und danken ihm, daß er Mut und Kraft gefunden und bewiesen hat, um unserem Volk den Aufbruch und den Weg zur Freiheit zu bahnen.

Schöffel geriet 1934 gleichwohl in einen Konflikt mit den eng mit dem Nationalsozialismus verbundenen "Deutschen Christen" und mußte zu Gunsten Franz Tügels zurücktreten. 1946 wurde er ein zweites Mal zum Bischof gewählt.

Franz Tügel trat bei seiner Wahl zum zweiten Hamburger Landesbischof am 5. März 1934 in der braunen Uniform der NSDAP vor die Synode und erklärte. "Mein Programm bin ich selbst!". Er skizzierte sein Credo in dieser Rede dahin:

Ich kenne nur einen Feind: Wer diesen Staat Adolf Hitlers nicht will. Mit solchen werde ich sehr kurz fertig. Das bin ich nicht nur meiner Kirche schuldig, sondern meinem Staat, meinem Volk und meinem wunderbaren Führer. (...) Eine Losung: mit Luther und Adolf Hitler für Kirche und Volk, daß beide ein Herz und eine Seele werden!8

In diesem Sinne wurde das Bischofsamt in Hamburg erst nach 1933 möglich und ist sowohl Ausdruck wie Übertragung des NS-Führerprinzips auf die evangelische Kirche.

War nach dem Krieg (1946) bereits die Wiederwahl Schöffels zum Landesbischof mehr als eigenartig, so liegt es dennoch auf einer Linie, dass auch sein Nachfolger als Bischof (1954-55), Theodor Knolle, (späterer Generalsuperintendent für Hamburg) die Nationalsozialisten 1933 freudig an der Macht begrüßt hatte. In der Rede, mit der er am 28.5. 1933 das Bischofsgesetz einbrachte erklärte Knolle:

Die Befreiung von der undeutschen Fremdgestalt westlich-demokratischer Verfassung wirkt sich auch als Befreiung der Kirche von ihr wesensfremden parlamentarischen Methoden und Mächten aus. Am stärksten prägt sich der Führungsgedanke in dem Reichsbischof aus, der an der Spitze der Deutschen Evangelischen Kirche stehen soll. (...) Hier beim Führungsgedanken begegnen sich Aufbruch der Nation und Aufbruch der Kirche.9

Wenn die Kirche aktuell immer noch schreibt: "Im Hamburger Bischofsamt der Nachkriegszeit hatte Maria Jepsen sechs Vorgänger. Der erste war Simon Schöffel (1945-1954). Ihm folgten Theodor Knolle (1954-1955) [...]",10 so ist das eine schlichte Form der Verharmlosung und ,Geschichtsklitterung'.

Solange also der Sprengel Hamburg der Nordelbischen Kirche diesen Bischofssitz nicht wieder abschafft und zur demokratischen Hamburger Kirchentradition eines Seniors / einer Seniorin als Sprecher/in der Kirche zurückkehrt, bleibt sie zumindest symbolisch immer noch dieser orthodoxen und demokratiefeindlichen Haltung verbunden.

Sie disqualifiziert sich damit als Verhandlungspartnerin eines demokratisch gewählten Senats.

8 Karin Wiedemann: "Die Bischöfe Schöffel und Tügel", in MHR (Mitteilungen des Hamburger Richtervereins) Heft 1 / 1997, S. 7.

9 2) Rita Bake (Bearb.) "Wie wird es weitergehen..." Zeitungsartikel und Notizen aus den Jahren 1933 und 1934: gesammelt und aufgeschrieben von Elisabeth Flügge. Hamburg: Landeszentrale für politische Bildung, 2001, S. 21 ff.

10 "Hamburger Bischofswahl" (25.4. 2002), unter www.kirche-hamburg.de/news/

9. Fazit

Alle Erörterungen haben gezeigt, dass an einem Staat-Kirche-Vertrag in Hamburg nur einer der beiden Verhandlungsseiten ein Interesse hat und haben kann: die Kirchen.

In Zeiten des rapiden Mitgliederschwundes und der immer geringeren Nachfrage der verbliebenen Mitglieder nach kirchlichen Handlungen kann es nur im Ansinnen der Kirche liegen - bevor sich die Angelegenheiten noch mehr für die Kirche als ungünstig erweisen werden -, wenigstens das festzuschreiben, was sie in den vergangenen Jahrzehnten als ihren Geltungsbereich legal besetzen und definieren konnte.

Es kann daher nicht im Interesse der Bürger, des Senats und der Bürgerschaft sein, sich unbefristet und unkündbar an Organisationen zu binden, die noch dazu immer mehr an Bedeutung verlieren. Dadurch wird der politische Gestaltungsraum des Senates und der Bürgerschaft langfristig unsinnig eingeengt.

Umgekehrt liegt es im Interesse des historischen gewachsenen Freiheitsanspruchs Hamburgs, demokratiefeindliche Bestrebungen zurückzuweisen und den leider üblich gewordenen Grundgesetzverletzungen nicht noch weitere hinzuzufügen.