Die linksrheinischen Deutschen Jakobiner
Von der Mainzer Republik zur ersten demokratischen Verfassung
Wenn wir uns heute in Speyer auf dem linken Rheinufer treffen, so befinden wir uns in einer Region, die seit Jahrhunderten freiheitlich und antiklerikal geprägt ist. Der Oberrhein stellt das älteste Zentrum der deutschen Emanzipationsbewegungen dar, auch wenn die Deutschen heute nichts mehr davon wissen.
Bereits im hohen Mittelalter gelang es in der Nachbarschaft den Bürgern von Worms, ihren Bischof zu verjagen. Worms wurde die erste freie deutsche Stadt, vor mehr als 900 Jahren. Diesem Beispiel folgten die Bürger von Köln, sie stürmten den Bischofspalast. Der geistliche Herrscher rettete mit Mühe sein Leben und wetterte: Die Stadt befinde sich in der Gewalt des Teufels. Ob er diesen Unsinn wirklich glaubte, konnte nie festgestellt werden, aber es ist ja bekanntlich alles möglich bei dem, der glaubt.
Die mittelalterlichen Bürger am Oberrhein waren keineswegs ängstlich und feige wie später viele Halbliberale: Sie warfen ihre feudalen und klerikalen Stadtherrscher hinaus, ohne Kompromisse. Zu ihnen gesellten sich auch die Bürger von Speyer. Ihr Bischof musste über den Rhein, ins Rechtsrheinische.
Am Oberrhein stellt also der Fluss seit langem die Grenze zur Freiheit dar.
Die entscheidende moderne Zäsur im Kampf für mehr Freiheit markierte das Zeitalter der Französischen Revolution, regional waren vornedran die ersten deutschen Demokraten, am kräftigsten hier im linksrheinischen Gebiet. Im Anschluss an die Franzosen nennt man sie deutsche Jakobiner. Tiefgreifende Veränderungen gelangen ihnen leider nur in der Landschaft zwischen Mainz, Landau und Saarbrücken.
Meine 1. These:
Das Gebiet auf der linken Rheinseite war es, wo sich erstmals eine deutsche Demokratie entfalten konnte. Weit weg von den Machtzentren Berlin, Wien, München oder Frankfurt. Die linksrheinischen Jakobiner entwickelten eine mehr als 50 Jahre andauernde demokratische Sondertradition. Diese fünf Jahrzehnte sind unvergleichlich bedeutender als die fürchterliche teutonische Dreiheit Metternich-Bismarck-Hitler. Mit etwas mehr Glück hätten die linksrheinischen Demokraten die Geschichte freiheitlich, friedlich und segensreich für die Nachbarländer und ganz Europa gestalten können - ja wenn man sie nur gelassen hätte.
Wie kam es dazu? In Frankreich erhoben sich die Bauern, die Bürger, selbst viele Adlige, um das alte Regime zu beseitigen.
Zwei Jahre nach dem Bastillesturm vom 14. Juli 1789 fielen zwei europäische Großmächte deutscher Sprache, Preußen und Österreich, in Frankreich ein. Sie setzten sich zum Ziel, die junge französische Demokratie im Blut zu ersticken und Paris niederzubrennen. Genau aus dieser Zeit datiert die tiefe Kluft zwischen Franzosen und Deutschen. Eine einzige Ausnahme bildeten die linksrheinischen deutschen Demokraten, die deshalb bis in unsere Zeiten mit Verachtung, gar Hass bekämpft wurden.
Ihre Chance bekamen sie, als die deutsche Invasionsarmee militärisch unterlag. Die deutschen Demokraten rechts des Rheines waren dagegen viel zu wenige, um das deutsche Feudalmilitär zu verjagen. Ihre wenigen Aktivitäten mussten sich im Untergrund halten oder auf kleine Zirkel und illegale Publikationen beschränken. Die besten unserer süddeutschen Demokraten sahen sich zur Auswanderung gezwungen.
Wohin? Nach Frankreich, wohin denn sonst? So kam es zum ersten demokratischen Exil der Deutschen mit dem Schwerpunkt im deutschsprachigen Elsaß. Bis heute ist dies ein heimatloser Teil unserer Geschichte. Niemand will sie haben, die Elsässer nicht, die Deutschen nicht, die Kulturpäpste von Paris noch viel weniger.
These 2:
Der demokratische Sonderweg des Linksrheinischen verdankte sich der Großen Revolution. Da dieser Sonderweg ein völliger Bruch mit der deutschen Kleinstaaterei und dem Untertanengeist bedeutete, war er nur möglich durch eine gründliche Umwälzung. Revolution statt Evolution.
Schon während der demokratischen Umwälzung in Mainz und Umgebung im Jahr 1792 setzten die Freunde des alten Regimes auf Verhandlungen, auf angebliche Reformen des deutschen Kaisers in Wien.
Die Linie der allmählichen und gewaltlosen Evolution war nichts als ein zahnloses Instrument. Volkssouveränität, allgemeine Wahlen, öffentliche Gerichtssitzungen einer rechtsstaatlichen Justiz, Kontrolle der Verwaltung usw. - das alles kann ein souveränes Volk unmöglich mit Alleinherrschern teilen.
Die deutschen Gebildeten, die man als Ideengeber gebraucht hätte, waren zumeist keine politisch-praktischen Köpfe, sondern isolierte Einzelgänger. Dem einfachen Volk, das in einer Demokratie die Mehrheit stellt, standen sie skeptisch bis höhnisch gegenüber. Die Klassiker von Weimar, voran die privilegierten Herren Goethe und Schiller, schauten kaum über den gedeckten Tisch ihrer Brötchengeber hinaus. Dem Programm einer Demokratisierung Deutschlands brachten sie kein Verständnis entgegen, eher Hohn und Spott.
Als die Mainzer Jakobiner 1792, also nunmehr vor 210 Jahren, um die erste Republik auf deutschem Boden stritten, standen die Weimarer Klassiker des "deutschen Geistes" hämisch abseits. Goethe noch schlimmer: Mit Schadenfreude schaute er zu, als die militärisch besiegten Mainzer Demokraten mit der französischen Armee aus Mainz auszogen. Hasserfüllte Demokratenfresser lauerten an den Stadttoren, rissen die abziehenden Jakobiner aus den Reihen der französischen Armee heraus und durften sie aufs schwerste misshandeln, Herr Goethe betrachtete billigend das widerliche teutsche Spektakel.
Wie war es zur Mainzer Republik des Jahres 1792 gekommen?
Die deutsche Invasionarmee blieb im Sommer 1792 in der Champagne stecken - aber ohne Champagner. Von da an ging es retour. Im Gegenzug drang eine kleine Armee vom französischen Elsaß her nach Speyer vor, dem letzten Brückenkopf der Deutschen am Rhein. Die hochmütigen Fürsten hatten hier nur einige tausend Soldaten stehenlassen.
Die Stärke der Franzosen lag nicht so sehr in ihrer Armee, sondern viel tiefer in der demokratischen Begeisterung ihrer Nationalgardisten. Die Freiwilligen der französischen Rheinarmee waren aus den deutschsprachigen Orten des Elsasses herbeigeeilt. Sie kamen mit der Absicht, ihre deutschen Nachbarn vom Fürstenjoch zu befreien. Sie verstanden sich nicht als Eroberer, sie kämpften nicht für Sieg, Ehre und Ruhm Frankreichs, noch weniger für die Gewinne der Kriegsindustrie, der Börse und der Bürokraten. Die elsässischen Befreier von Mainz, die Sieger über den Feudalismus, die den Weg zur ersten Demokratie frei machten, waren kosmopolitisch denkende Nachbarn, absolut keine Militärköpfe. Sie verstanden sich als Teil einer gemeinsamen Familie am Oberrhein. Sie hielten es für ihre brüderliche Pflicht, den Geknechteten jenseits der Grenze die Freiheit zu bringen.
Die letzten deutschen Soldaten liefen also im September 1792 bei Speyer davon. Damit lag das ganze Land bis Mainz hinunter frei vor den Truppen der Revolution. Mainz ergab sich.
Noch früher erhoben sich die demokratischen Rebellen in der Südpfalz, dem Gebiet zwischen Neustadt und Landau.
Ein Land ohne große Städte, ohne Intellektuelle, ohne Führungserfahrung. Also ein Gebiet, das in der großen Geschichte gar nicht vorkommen darf. Hauptort war das Landstädtchen Bergzabern, wo der Gemeinderat den revolutionären Jakobinerklub der französischen Festungsstadt Landau für den Umsturz gewann. Die Dörfer der Südpfalz befreiten sich selbstständig von der Feudaluntertänigkeit, sie erklärten ihre alten Aussauger einfach für abgesetzt. Das war kein Gewaltakt, wie die deutschnationalen Schulmeister von da an gerne predigten, es war vielmehr eine berechtigte und notwendige Befreiungstat.
Die Bergzaberner griffen zu einem urdemokratischen Modell, zur Volksversammlung. Alle Männer trafen sich im Rathaus, debattierten, ob sie sich von ihrem Landesherrn trennen sollten. Auch wer dagegen war, durfte reden. Nur den Bediensteten des Herzogs wurde das Maul gestopft, sie würden eh bloß für ihren Broterwerb reden.
In weiser Voraussicht stellten die Bergzaberner sofort eine Nationalgarde auf und wählten ihre Offiziere. Der Bergzaberner Bäcker und Gastwirt Jean Adam Meyer entpuppte sich als eine vorzügliche Führungskraft. Man wählte ihn zum Maire, zum Bürgermeister also, danach zum Präsidenten des ersten Parlaments in diesem kleinen Land und endlich zum Kommandanten der gesamten Nationalgarde.
Die Bergzaberner gründeten einen Jakobinerklub, in dem sie alle Probleme öffentlich diskutierten. Zusammen mit den benachbarten 20 Ortschaften gründeten sie eine kleine Republik. Um ihre Unabhängigkeit zu sichern, baten sie Paris um die Aufnahme in die große Republik. Der Nationalkonvent nahm diesen deutschen Freistaat dann auch wirklich auf. Die Südpfalz entwickelte sich für mehr als 50 Jahre zu einer Hochburg der deutschen Demokraten, auch als das Linksrheinische wieder zum Deutschen Reich gehörte.
Die Bergzaberner Revolution verlief ohne Gewalttat. Das hatte freilich eine negative Folge bis heute: Wenn's nicht kracht, wenn kein Blut fließt, keine Köpfe rollen, haben die Herren der Geschichtsüberlieferung kein Interesse. Eine Erhebung mit Grausamkeiten dagegen wird aufwändig ins Gedächtnis eingemeißelt.
Gehen wir zurück nach Mainz. Kaum waren die Franzosen 1792 in der Stadt, da gründeten auch die Mainzer Jakobiner einen Klub, genannt "Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit". Dieser Klub leistete eine große Überzeugungsarbeit. Die Bürger gingen massenweise in die öffentlichen Sitzungen, die im alten Schloss des Kurfürsten abgehalten wurden; sie hörten sich an, was man unter Demokratie verstehe. Wenigstens damals haben Deutsche ihre Landsleute für das demokratische Denken zu gewinnen versucht, nicht die siegreiche Besatzungsmacht.
Adam Custine, der französische General von Mainz, ein adliger Herr, versteht freilich die Deutschen nicht so recht. Politisch naiv, wie Militärs oft sind, glaubt er, es reiche, einen enthusiastischen, gedruckten Aufruf an alle Deutschen hinauszuschicken, auch über den Rhein, dann würden alle sich sofort der Freiheit anschließen und mit ihren alten Herrschern brechen.
Doch die Deutschen rechts des Rheines warten lieber, ob nicht die französische Revolutionsarmee kommt und selber die Befreiung vornimmt. Bis über Ulm hinaus spürte man die Hoffnungen des Volkes auf den Umsturz durch die Franzosen, aber an politischen Taten der Deutschen mangelte es.
So blieb das linksrheinische Gebiet um Mainz isoliert. Die Mainzer Demokratenführung tat das einzig Richtige: Sie suchte wenigstens ihr Gebiet umzugestalten. Im Februar 1793 fanden die ersten Wahlen der deutschen Geschichte statt, die Wahlen zu den Gemeinderäten und zum Parlament, dem "Rheinisch-deutschen Nationalkonvent". Die entstehende Republik erhielt den Namen "Rheinisch-deutscher Freistaat".
Tagungsort war in Mainz das Schloss des Deutschritterordens. Kein gutes Vorzeichen, dass die ersten deutschen Parlamente sich in Schlösser und Kirchen niederließen. Um militärischen und politischen Schutz vor dem rachsüchtigen deutschen Feudalmilitär zu erhalten, wollte auch das Mainzer Parlament sich der französischen Republik anschließen. Die erste größere deutsche Republik ging im Bombardement der preußischen Artillerie zugrunde.
These 3:
Die demokratisch umgestaltete Gesellschaft konnte sich behaupten, auch nachdem das linksrheinische Gebiet wieder zu Deutschland gekommen war, in den Jahren nach 1814.
Hauptgegner der ersten Demokratie waren die Monarchen und der Feudaladel, ihr Hauptinstrument das Militär. Im Friedensschluss von 1797 wurde der Rhein die Grenze zwischen dem neuen Recht und der alten Untertänigkeit.
Die Tragödie der deutschen Demokratenbewegung wollte es, dass andere Kräfte viele Früchte der jungen Volksherrschaft an sich rissen: Bürokraten, Geldherren, Militärs. Die deutschen Demokraten distanzierten sich freilich vom neuen französischen Militärismus. Als Napoleon 1805 die Republik durch das Kaiserreich ablöste, stimmten die deutschen Departements am stärksten dagegen. Doch zugleich ließen sie nie vom neuen Recht ab, dem Code Napoléon, dem neuen Gesetzeswerk. Dieses Buch wurde unter den Deutschen links des Rheines so populär, dass es gleich neben der Bibel stand.
Als Napoleon gestürzt war, rissen die deutschen Fürsten die verlorenen linksrheinischen Gebiete wieder an sich. Sofort schrillten im Linksrheinischen die Alarmglocken: Man befürchtete eine Rückkehr der alten Feudalbesitzer, der parteilichen Richter, der despotischen Herrscherkirche, des Jesuitenordens und der Klosterherrschaften. Es stand zu befürchten, dass die seit 20 Jahren lieb gewonnenen demokratischen Errungenschaften widerrufen würden. Würde aber das neue Recht aufgehoben, das sich auf Freiheit und Gleichheit gründete, so würden zwangsläufig auch die neuen Besitzverhältnisse revidiert. Denn in der Revolutionszeit war der Besitz des Feudaladels, der Kirche und der antidemokratischen Auswanderer in neue Hände gekommen. Es war ein neues Bürgertum entstanden, das an den Grundsätzen der Französischen Revolution festhalten musste, wenn es nicht seinen Besitz an die alten Mächte verlieren wollte, die rechts des Rheines nur auf die Revanche warteten.
Also aus Gründen der Besitzwahrung mussten die linksrheinischen Bürger Freunde des revolutionären Rechtes bleiben.
Sechs Jahre lang, von 1814 bis 1820, kämpfte man im linksrheinischen Teil des Deutschen Reiches publizistisch, parlamentarisch und diplomatisch um die Beibehaltung dieser Errungenschaften, die den Namen "die französischen Institutionen"; bekamen. Darunter verstand man die unverzichtbaren Rechte der neuen Zeit. Das erste deutsche Programm der Grundrechte entstand hier im Linksrheinischen, zwei Generationen vor der 48er Revolution.
Unter den französischen Grundrechten verstand man Freiheit und Sicherheit der Person Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit der Gewerbe, Trennung der Justiz von der Verwaltung und der exekutiven Gewalt, Öffentlichkeit der Gerichtssitzungen, Geschworenengerichte für alle Kriminalfälle, Trennung von Kirche und Staat, Freiheit und Sicherheit des Eigentums - Hier war am wichtigsten die Abschaffung des Zehnten und aller sonstigen Feudallasten. Damit büßte die Kirche wenigstens den Griff in den Geldbeutel ihrer Schäfchen ein. Das ist die schmerzlichste Religionskritik.
Ein Publizist formulierte die Stimmung der Zeitgenossen: Die neuen Grundrechte hätten die Zerschlagung der großen Feudalgüter gebracht, jeder Landwirt könne nun sein Land selbst besitzen und nach eigenem Gutdünken betreiben. Der alte Adel war schon lange über den Rhein geflüchtet, meistens nach Bayern. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft blühten Landstädte und Dörfer auf, die alten Residenzstädte und Schlösser zerfielen. So wurde auf friedlichem Weg, durch sozialen Wandel, die Parole der Revolution erfüllt: "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!"
Nach langem Widerstreben mussten die deutschen Monarchen die aus der Revolution stammenden neuen Verhältnisse im Linksrheinischen anerkennen. Aber da das Gebiet zu problematisch war für die Monarchien, wurde es geteilt: Die nördliche Landschaft um Mainz kam als Provinz Rheinhessen zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt, die südliche von Speyer bis Landau als Provinz Rheinbayern oder Pfalz an das Königreich Bayern. Als diese beiden deutschen Staaten ihre erste Verfassung erhielten, mussten sie mit einem Sonderdekret erklären: Alle Teile der Verfassung, die nicht mit den französischen Errungenschaften übereinstimmen, sind im Linksrheinischen aufgehoben.
Ein gewaltiger Schlag gegen die Monarchie.
Dieser demokratische Sonderstatus war von nun an zugleich Zankapfel wie Anreiz zum neuen Denken. Die Pfälzer schickten in den bayerischen Landtag nach München am liebsten radikale Demokraten, die keine Kompromisse machten und unnachgiebig die Fahne der Opposition hoch hielten. Wenn irgendein Streitpunkt auf den Tisch kam, erklärten sie selbstbewusst, wie gut diese Frage bei ihnen drüben überm Rhein schon gelöst sei.
Um die Position der linksrheinischen Demokraten zu erschüttern, vergriff sich Bayern an der Kirchen- und Kulturpolitik. In der Revolutionszeit waren die Klöster aufgelöst und die religiösen Orden verboten worden - das war ein Segen für das Land. Nun ließ der bayerische König erneut ein Kloster gründen. Zur Krönung der antiliberalen Kulturpolitik wurde der Chef der pfälzischen Schulverwaltung in Speyer, der verdiente Jakobiner Butenschön, entlassen.
Wer folgte wohl? Natürlich ein Anhänger der Monarchie, ein Feind von Aufklärung und Kritik. Mit Bayern ging es überall rückwärts.
These 4:
Allgemein fand die erste gesamtdeutsche demokratische Opposition ihren stärksten Rückhalt im Linksrheinischen. Das berühmte Hambacher Fest von 1832, die erste Massenkundgebung der deutschenGeschichte, konnte nur hier stattfinden. Die Wiege der deutschen Demokratie - der Berg über Hambach bei Neustadt an der Weinstraße - wurde gekrönt von einer Ruine aus dem Bauernkrieg. Ein feines Symbol unserer Freiheitsgeschichte.
Die steigende Unzufriedenheit mit den Verhältnissen in Deutschland fand ihren Ausdruck in der dreitätigen Kundgebung auf dem Hambacher Schloss. Entsprechend der heiteren, lächelnden, etwas südländischen Mentalität machten die Pfälzer mit der kämpferischen Demokratie ein großes Fest. Es kamen 20.000 bis 30.000 Teilnehmer. Es wurde gefeiert, gegessen, erzählt, agitiert - und vor allem Wein getrunken.
Dazwischen schnüffelten bayerische Spitzel nach Königsmördern. Sie ernteten nur Spott. Das war die Demokratie in ihrer heiteren Phase.
Am Rand plante eine tatendurstige Gruppe einen bewaffneten Aufstand, um in ganz Deutschland eine Demokratie zu etablieren. Also auch die erste demokratische Aufstandsidee stammt aus dem Linksrheinischen.
Im nächsten Jahr, es war 1833, versuchten Studenten in Frankfurt, die Fürstentagung des Deutschen Bundes zu stürzen. Leider ohne Erfolg. Nun sah die Reaktion ihre Stunde gekommen. Die deutschen Fürsten richteten eine Repressionsbehörde ein, in Wiesbaden, dem demokratischen Mainz gegenüber. Ein merkwürdiger Vorläufer des Bundeskriminalamtes. Allein 10 % aller verfolgten Deutschen stammten aus der kleinen Pfalz.
Wenn die Demokratie lebt und ihre Anhänger nicht das Genick einziehen, halten sie noch in Zeiten der Repression zusammen.
Das bewiesen sie vor Gericht. Die bayerische Justiz zerrte die wichtigsten Köpfe des Hambacher Festes vor Kriminaltribunal, das im Linksrheinischen tagen musste, in Landau. Die Geschworenen sprachen ihre Anführer selbstverständlich frei. Die Polizei täuschte danach kleinere Vergehen vor, um das Geschworenengericht zu umgehen. Wenn dann die Demokraten doch noch hinter Gitter landeten, suchten ihre Anhänger nach Wegen, um die Gefangenen zu befreien.
Wenn man bei den Fluchthelfern die Familiengeschichte untersucht, entdeckt man geheime demokratische Traditionen. Viele der Fluchthelfer waren Nachkommen der ersten linksrheinischen Jakobiner. Ihre Familien hatten zusammen politische Kämpfe für die Befreiung geführt. Daraus entwickelte sich eine Solidarität, die auch in finsteren Zeiten hielt.
Ein erheiterndes Beispiel für diesen legendären Zusammenhalt verbindet sich mit Siebenpfeiffer, dem bedeutendsten Kopf des Hambacher Festes. Als er, gerade aus dem Gefängnis befreit, sich im Untergrund auf dem Weg nach Frankreich befand, übernachtete er ein letztes Mal auf deutschem Boden an der Grenze. Er wurde bei Dunkelheit in das Haus eines prominenten Fluchthelfers eingelassen und mit Geld, Kleidung und falschen Papieren versorgt.
Wer half ihm da wohl? Der Vorsitzende des demokratischen Geschworenengerichts, das ihn einige Monate vorher freigesprochen hatte.
These 5:
Die erste gesamtdeutsche demokratische Revolution (1848/49) fand im Linksrheinischen ihre konsequenteste Zuspitzung - im bewaffneten Aufstand für die deutsche Reichsverfassung der Frankfurter Paulskirche.
Als die Abgeordneten 1848 sich im ersten deutschen Parlament trafen, hielten die Pfälzer zur konsequenten Demokratie. Viele andere wollten den deutschen Fürsten nicht wehe tun, orientierten sich an einer grauen Mitte, mochten es mit der Polizei und der Justiz der alten Herrschaften nicht verderben. In Frankfurt vertrödelte man ein ganzes Jahr, um die Verfassung zu Papier zu bringen.
Schon der Einzug ins Parlament zeigte die fatale Konstellation. In der Mitte biedere Langweiler. Flankiert von Turnern, die leider unbewaffnet sind. Wer soll eigentlich die Abgeordneten schützen? Von außen sind sie eingeschlossen durch Militär, das ein Jahr später die Demokratie erwürgen wird.
Am Ende kam es so, wie die deutschen Jakobiner gesagt hatten: Wenn man die alten Herrscher nicht stürzt, kann die Freiheit nicht bestehen. Selbst den Verfassungskompromiss der Frankfurter Paulskirche ließ der preußische König durch seine Soldaten zerschlagen.
Die tapfersten Abgeordneten flüchteten sich nach Stuttgart, ins Rumpfparlament. Die einzige deutsche Region, deren Abgeordnete sich vollzählig anschlossen, war die linksrheinische Pfalz. In Kaiserslautern proklamierten die Pfälzer am 1. Mai 1849 die Republik und versuchten, die deutsche demokratische Verfassung doch noch zu erkämpfen. Vergeblich.
Die Besiegten empfanden das Ende traumatisch. Dieses Bild gibt das Blutbad unter Preußens Verantwortung wieder: Ein Freiheitskämpfer, am Boden der Heckerhut, wurde "begnadigt zu Pulver und Blei".
Die Fürsten und Antidemokraten hatten von da an viel zu tun, um die Erinnerungen an die deutsche Demokratie und erst recht an den linksrheinischen Sonderweg auszulöschen. Gelungen ist es ihnen leider bis in die 1960er Jahre. Erst da setzte in der deutschen Geschichtsbetrachtung ein neuer Abschnitt ein, merkwürdigerweise zuerst durch einzelne Historiker der DDR, die gegen ihre stalinistischen Parteibürokraten einen schweren Stand hatten. Der erste Entdecker war Heinrich Scheel in Ostberlin. Zu Hitlers Zeiten hatte er in der Widerstandsorganisation Rote Kapelle mitgemacht, um die Sowjets vor Hitler zu warnen.
Noch heute liegt das politische Erbe der deutschen Jakobiner herrenlos herum. Wenn es eines Tages nicht von der bayerischen Regierung reklamiert werden soll, müssen wir selbst uns darum kümmern. Einige Impulse könnten sein: Aufbau der Demokratie von unten, vom Stadtteil aus, mehr direkte Demokratie, Wahlen auch der Richter und anderer Machthaber, Absetzbarkeit der Abgeordneten, Vorsicht vor Großmächten aller Art. Wenn die "kleinen Leute" nichts mehr zu sagen haben, gibt es keine Volksherrschaft mehr.
Wer mehr wissen will, besorge sich mein Büchlein Hellmut G. Haasis: Morgenröte der Republik. Die linksrheinischen deutschen Demokraten 1789-1849, Frankfurt 1984. Auszuleihen in größeren wissenschaftlichen Bibliotheken (auch mit Fernleihe), gelegentlich angeboten im Internetantiquariat ZVAB.