Karfreitag 2009 - Let's Talk About Sex!

Ellen Kühl-Murges

„Religionsfreie Zone“ im Kölner Filmhaus

Am Karfreitag, einem der sog. stillen Feiertage, wurde das Kölner Filmhaus zur religionsfreien Zone erklärt. Nach der ersten erfolgreichen Veranstaltung des IBKA-Landesverbandes NRW im Jahre 2008 lud man erneut zur kritischen sowie „genüsslichen“ Reflexion der rigiden Feiertagsgesetzgebung ein.

Religionsfreie Zone - Heidenspaß statt Höllenqual

Politische Veranstaltung zum Feiertagsgesetz NRW

Das Feiertagsgesetz des Landes NRW besagt, dass in der Zeit von Gründonnerstag 18:00 Uhr bis Samstag 06:00 Uhr öffentliche sowie nichtöffentliche (außerhalb der eigenen Wohnung) Tanzveranstaltungen gänzlich verboten sind. Dies gilt ebenso für Veranstaltungen, Theater- und musikalische Aufführungen, Filmvorführungen, und Vorträge jeglicher Art, auch ernsten Charakters, während der Hauptzeit des Gottesdienstes.

Hier wird dem vermeintlichen Anspruch des christlichen Glaubens nach Trauer und Andacht durch die Gesetzgebung ein Raum gegeben, dem sich alle Bürger zu unterwerfen haben, egal welcher Weltanschauung sie angehören.

Dieser staatlich verordnete christliche Trauerzwang bescherte uns dann auch einige Mitmenschen, die im Unverständnis darüber, warum der Biergarten gegenüber bei diesem herrlichen, sommerlichen Frühlingswetter geschlossen sei, in unserer religionsfreien Zone „strandeten“. Sie, wie auch die anderen Besucher der Veranstaltung, konnten sich in Gesprächen, am Infotisch des IBKA und am Büchertisch des Alibri Verlages informieren.

Foto: Menschen im Gespräch

Wenn auch nicht so viele Menschen wie im letztem Jahr den Weg ins „Kölner Filmhaus“ fanden – einige hatten wohl doch noch ein lauschiges Plätzchen an diesem sommerlich warmen Frühlingsabend gefunden – ist es auch dieses Mal ein Erfolg gewesen.

Foto: Enttaufung

Wer u. a. die Frage der stellvertretenden Landesprecherin des IBKA NRW Petra Daheim:„Erkennst Du an, dass Sex vor der Ehe genauso gut oder schlecht ist wie währenddem oder danach?“ mit „Ja“ beantworten konnte, hatte sich aus freien Stücken und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zur mobilen Ent-Taufungsstation begeben. Die Ent-Taufung wurde erstmalig beim Sommerfest 2008 angeboten, und erfreute sich schon dort eines regen Zuspruchs. Ein profanes Papiertaschentuch, mit welchem die Stirn des Ent-Täuflings abgetupft wurde, zeugte vom symbolischen Akt der Ent-Taufung. „Mit dem Kirchenaustritt trennen sich Menschen von der rechtlich verankerten Körperschaft der Kirche“, so der Landessprecher des IBKA NRW Rainer Ponitka „jedoch verbreiten die Kirchen die Mär, dass man durch die Taufe lebenslang der Gemeinschaft der Gläubigen angehöre. Dieser lebenslangen Vereinnahmung, die freilich keinesfalls ernst zunehmen ist, setzt die Enttaufung ein humorvolles Ende.“

Jedem Ent-Täufling wurde anschließend eine Urkunde ausgestellt und fröhlich forderte Petra Daheim auf, die Urkunden an die entsprechenden Pfarrgemeinden, mit der Aufforderung aus dem Taufregister gestrichen zu werden, zu senden.

Wer zu den Hauptattraktionen des Abends wollte, wurde zuerst einmal freundlich von Isabella Murges und Björn Daheim „zur Kasse gebeten“. Unsere jungen „Nachwuchskräfte“ verkauften die Eintrittskarten für die beiden Filme des Abends.

Der erste Film – ein Appell an die sexuelle Selbstbestimmung – “Kinsey – LET`S TALK ABOUT SEX!” aus dem Jahr 2000 beruht auf wahren Begebenheiten. Bei den sog. „Kinsey-Reports“ des 1894 in New Jersey geborenen Alfred Charles Kinsey „handelt [es] sich dabei um eine Erhebung, in der der Versuch unternommen wird, festzustellen, was Menschen im geschlechtlichen Bereich tun, welche Faktoren für ihre sexuellen Verhaltensweisen verantwortlich sind, wie ihre sexuellen Erfahrungen ihr Leben beeinflussen und welche soziale Bedeutung jede der Verhaltensformen haben könnte.“ (Alfred A. Kinsey, a. a. O., Seite 3)

Im Verlauf von fünfzehn Jahren befragten er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als zehntausend Menschen aus allen Bereichen der US-Gesellschaft über ihr sexuelles Verhalten vor der Pubertät, bei der Masturbation und mit hetero- bzw. homosexuellen Partnern. Mit seinem ersten Buch „"Sexual Behavior in the Human Male" („Das sexuelle Verhalten des Mannes“) im Jahre 1948 erregte er große Aufmerksamkeit und auch Protest in den konservativen USA. Das zweite Band „"Sexual Behavior in the Human Female" („Das sexuelle Verlangen der Frau“) sorgte für einen Sturm der Entrüstung, denn Kinsey berichtete darüber, wie stark verbreitet Praktiken wie Fellatio, Cunnilingus und Analsex waren. Viele US-Bürger wollten gar nicht damit konfrontiert werden, dass nicht – wie in ihrem Weltbild verankert – nur einige wenige verdorbene oder psychotische Individuen masturbieren, vorehelichen Sex hatten, homosexuelle Kontakte bevorzugten, ihre Ehepartner betrogen und auch noch im hohen Alter sexuell aktiv waren.

Kinsey trat dafür ein, alles zu erlauben, solange kein Partner zu etwas gezwungen wurde. Für ihn gab es keine Unterscheidung zwischen normalen und abartigen Formen des Sex, sondern er unterschied nur zwischen üblichen und selteneren Praktiken.

Seine Studien über homosexuelles Verhalten konnte er nicht mehr vollenden, da er im August 1956 einem Herzversagen erlag. Es steht die Vermutung im Raum, dass die Todesursache durch eine völlige Überarbeitung ausgelöst wurde, da ihm aufgrund von religiösem und politischem Druck weitere Forschungsgelder vorenthalten wurden, so dass er versuchte, diese Verluste durch verstärkte Anstrengungen auszugleichen.

Der zweite Film des Abends „Chocolat – Ein kleiner Biss genügt!“, eine Komödie aus dem Jahr 2000, erzählt die Geschichte der Atheistin Vianne, die im Jahre 1959, zusammen mit ihrer Tochter Anouk, in einer kleinen französischen Provinzstadt während der Fastenzeit eine Chocolaterie eröffnet. Sehr zum Missfallen des bigotten Bürgermeisters verfallen die Dorfbewohner mit der Zeit den süßen und geheimnisvollen Pralinen. Als dann Vianne die am Fluss kampierenden Zigeuner herzlich begrüßt und sich auf ein Verhältnis mit dem Zigeuner Roux einlässt, verärgert dies die Bewohner des Provinzstädtchens. Sie zetteln einen Boykott gegen die Unmoral an, denn sie sind der Meinung, dass das unstete Leben der „Flussratten“ (wie sie die auf dem Fluss umherziehenden Zigeuner nennen) nicht geduldet werden könne. Doch der Film findet trotzdem ein glückliches Ende, als sich der Bürgermeister zu seinen Leidenschaften und Bedürfnissen bekennt. Die Geschichte endet in einem Schokoladenfest.

Die Veranstaltung in kritischer, jedoch heiterer Atmosphäre hatte wieder viele angesprochen. In lockerer Stimmung wurde diskutiert, informiert und viel gelacht! Einige Besucher sind erst durch die Bewerbung dieser „Religionsfreien Zone“ in den Zeitungen und dem Internet darauf aufmerksam geworden, das es Organisationen gibt, die sich für die Belange nicht-religiöser Menschen einsetzen. Zukünftig wird es wohl mehr Unterstützer geben, denn durch den Beitritt zum IBKA – noch am selben Abend – wurde Solidarität bekundet.

Ein herzlicher Dank gilt allen Helfern, die wiederholt oder auch zum ersten Male zum Gelingen dieser Veranstaltung mit beigetragen haben.

Ein weiterer Veranstaltungsbericht findet sich beim Humanistischen Pressedienst.

Das Button „Religionsfreie Zone“ sowie der Begiff selbst werden mit freundlicher Genehmigung der Giordano Bruno Stiftung verwendet.