Gemeinsame Erklärung
...zur Neuregelung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Verhältnis von Staat und Kirche im Rahmen des Vereinigungsprozesses der beiden deutschen Staaten
Aus: MIZ 2/90
Die Entwicklung zur staatlichen Einheit Deutschlands ist für uns Anlaß, die verfassungsrechtliche Stellung der Kirchen zu überdenken und die vom Gesetzgeber gewollte Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit aller im Staatsgebiet lebenden Menschen zu garantieren. Diese Neuregelung fordern wir jetzt.
Der Prozeß der Einheit bietet die Möglichkeit, alle Religions-, Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften vor dem Gesetz gleichzustellen und damit nicht gerechtfertigte Privilegien einzelner Kirchen aufzuheben. Der vorläufige Charakter der Regelungen im Grundgesetz, die sich zum Teil noch auf die Weimarer Reichsverfassung von 1919 beziehen, ist durch neue Artikel in der zu erstellenden gemeinsamen Verfassung zu überwinden. Hintergrund dafür sind die Erfahrungen, die in beiden deutschen Staaten in der Vergangenheit gemacht wurden.
Folgende Prinzipien sind für die Ausgestaltung dieser Regelungen verbindlich:
I. Das Menschenrecht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit steht allen Menschen gleichermaßen zu; es ist unverletzlich. Die ungestörte Ausübung einer Religion oder das Bekenntnis zu einer Weltanschauung ist gewährleistet. Alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind daher im Rahmen aller Gesetze gleich zu behandeln.
II. Der Staat ist gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern ohne Ansehen der Person zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet. Sämtliche Gemeinschaften, die sich mit Religion und Weltanschauung befassen, sind daher ausnahmslos vom Staat getrennt.
III. Die Freiheit der Vereinigung zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist gewährleistet.
Wir fordern auf Grund dieser Prinzipien:
1. Der Einzug von Mitgliedsbeiträgen geschieht nicht in Form einer gesetzlichen Kirchensteuer. Angaben zu einem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis gehören zu den schutzwürdigen persönlichen Daten.
2. Der Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche ist auf das gesamte Bildungswesen anzuwenden, z.B. kein Religionsunterricht an öffentlichen Schulen; kein Recht des Staates auf ethisch-moralischen Ersatzunterricht; keine staatlich finanzierte Ausbildung von Geistlichen.
3. Die Militär- und Anstaltsseelsorge als staatlich finanzierte Leistung ist aufzuheben. Allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist der gleichberechtigte Zugang zu allen Institutionen auf Verlangen zu sichern.
4. Die Durchsetzung einer Gleichbehandlung aller Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften in den öffentlichen Einrichtungen und Gremien. Die Mitwirkung der Kirchen in staatlichen, kommunalen und mit hoheitlichen Aufgaben befaßten Entscheidungsgremien ist zu beenden.
5. Der neuen Verfassung entgegenstehende Konkordate und andere Verträge zwischen Staat und Kirche sind unverzüglich aufzulösen.
6. Umgehende Streichung des § 166 StGB (Gotteslästerung).
Dieser Erklärung haben sich folgende Organisationen und Vereinigungen angeschlossen:
- Freie Humanisten Niedersachsen, K.d.ö.R.
- Freigeistige Landesgemeinschaft NRW, K.d.ö.R.
- Deutscher Freidenker-Verband (Sitz Berlin) e.V.
- Deutscher Freidenker-Verband e.V. (DDR)
- Bund für Geistesfreiheit Bayern, K.d.ö.R.
Hannover, den 10. Juli 1990
Stellungnahme des IBKA-Vorstandes:
Der IBKA hat sich der "Gemeinsamen Erklärung" diverser nichtkirchlicher Verbände vom 10. Juli 1990 nicht angeschlossen. Maßgebend war nicht deren Inhalt, sondern die Einstellung der Initiatoren:
Einerseits fordern die beteiligten Organisationen (mit Recht) die Trennung von Staat und Kirche, was logischerweise die Streichung von Staatszuschüssen und anderen öffentlichen Subventionen für religiös-weltanschauliche Zwecke einschließt.
Andererseits kassieren von den fünf Erstunterzeichnern nicht weniger als vier selbst Staatszuschüsse für rein weltanschauliche Belange, darunter zwei sogar in Millionenhöhe!
Angesichts solcher Widersprüche hält der IBKA die "Gemeinsame Erklärung" für irreführend und unglaubwürdig. Kein Verband wird ernstgenommen, der von anderen (nämlich von Staat und Kirchen) etwas fordert, was er für sich selbst nicht gelten lassen will.
Darüberhinaus lehnt es der IBKA ab, dem Stasi-Ziehkind Deutscher Freidenker-Verband der DDR eine Plattform im Kreise demokratischer Organisationen zu bieten, solange der Umbenennung keine Ablösung der Geschäftsführer und Funktionsträger aus SED- und Stasi-Kadern gefolgt ist.
IBKA-Vorstand, Berlin, den 23. Juli 1990