Privilegien der Kirchen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Und wer sitzt in der ersten Reihe?

Die Privilegien der Kirchen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Aus: MIZ 3/94

Während sich Dyba, Kruse und Co. ihre Position bei den Privaten erst langsam erkämpfen mußten, saßen sie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk schon immer in der "ersten Reihe". Einer der explosivsten Beiträge der RTL-Serie "Der heiße Stuhl" war der Auftritt des MIZ-Begründers Frank Schütte, und bis sich Margarete Schreinemakers als treuergebene Katholikin outete, gingen auch bei SAT1 einige kirchenkritische Features über den Sender. Bei ARD und ZDF war die privilegierte Stellung der beiden christlichen Großkirchen hingegen von Anfang an institutionell festgeschrieben.

Die Rundfunkgesetze der Länder und der ZDF-Staatsvertrag sind in dieser Hinsicht in ihren Formulierungen alle sehr ähnlich. Sowohl bei der Frage der Zusammensetzung der Rundfunkräte als auch bei der Vergabe von kostenlosen Sendezeiten werden den Kirchen Sonderrechte eingeräumt.

In den Rundfunkräten sollen die "gesellschaftlich relevanten Gruppen" vertreten sein; in der Regel bestehen sie aus 30 bis 50 Personen, die von politischen Gremien und Verbänden aus Politik, Wirtschaft und Kultur entsandt werden. Dazu gehören, je nach Bundesland, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände, der Landesjugendring und der Sportbund, die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege oder die Verbraucherzentrale. Und eben die evangelische und die katholische Kirche. In einigen Rundfunkräten wird das Kirchenkontingent noch dadurch erhöht, daß einzelne Mandate der "gesellschaftlich relevanten Gruppen" direkt an kirchliche Organisationen gebunden sind1. Einschließlich der mittelbar kontrollierten Sitze stellen die Kirchen durchschnittlich zehn Prozent der Rundfunkräte, also deutlich zuwenig, als daß sie auf diesem Weg direkt ins Programm eingreifen könnten. Der informelle Einfluß der Kirchen wirkt sich in dem nach Parteiproporz besetzten Gremium viel stärker aus (was andererseits bedeutet, daß alle Vorschläge zur Änderung des Besetzungsschlüssels das Problem klerikal initiierter Eingriffe ins Programm nicht lösen werden).

Unter einem anderen Gesichtspunkt ist die Präsenz der Kirchen aber doch bedenklich. Denn außer der jüdischen bzw. israelitischen Gemeinde, die in diesem Punkt in den meisten Bundesländern gleichgestellt ist, hat keine weitere Weltanschauungsgemeinschaft Sitz und Stimme in einem Rundfunkrat. Lediglich der SDR hat eine Regelung getroffen, die dies ermöglicht2; im saarländischen Rundfunkgesetz ist immerhin noch die Möglichkeit erwogen, daß in Fragen, "die konfessionelle Minderheiten berühren, ... deren Vertreter beratend hinzugezogen" werden (§16). In allen anderen Rundfunkgesetzen tauchen "Andersgläubige" oder Konfessionslose als "gesellschaftlich relevante Gruppe" nicht auf, so daß eine Zweiklassengesellschaft etabliert wird. Versuche, dies zu ändern, stoßen schnell auf den Widerstand konservativer Politiker; als in einem Entwurf der damals noch rot-grünen niedersächsischen Landesregierung beabsichtigt war, unter anderem auch der Humanistischen Union einen Sitz einzuräumen, wurde dies aus der CDU-Landtagsfraktion sofort als "einseitig und undemokratisch" kritisiert3.

Das Vorrecht der kostenlosen Sendezeiten teilen sich die Kirchen mit den Parteien. Doch während diese nur während der Wahlkämpfe und nach einem genau festgelegten Schlüssel den Zuschauern ihre Spots präsentieren dürfen, sind die Möglichkeiten der Kirche nahezu unbegrenzt. Ein Anspruch auf Sendezeiten besteht "für die Übertragung gottesdienstlicher Handlungen... sowie sonstiger religiöser Sendungen - auch solcher über Fragen ihrer öffentlichen Verantwortung"4. Ein Protokoll zu den Bestimmungen des Staatsvertrages über die Rechte der Kirche definiert diese Sendezeit als eine, "die den berechtigten Belangen der Kirche Rechnung trägt, d.h. sie muß unter diesem Gesichtspunkt ausreichend sein im Vergleich zum Gesamtprogramm, und sie muß andererseits zeitlich so plaziert sein, daß den vorhandenen Bedürfnissen Rechnung getragen ist..."5 - ohne daß allerdings auch nur einer der sehr weit gefaßten Begriffe dadurch geklärt würde.

In der Praxis sieht das ganze so aus, daß neben den sonntäglichen Gottesdienstübertragungen und dem Wort zum Sonntag als klassischen "Verkündigungssendungen" noch eine ganze Reihe weiterer Sendungen mit spezifisch christlichem Inhalt über die Mattscheibe flimmert, die von eigenen Kirchenfunkredaktionen produziert wird. Einige sind durch ihren Reihentitel leicht identifizierbar, wie etwa die ARD-Serie "Gott und die Welt"; andere tarnen sich mit unauffälligeren Namen wie "Kontakte", "Stationen" oder "Kontext". Und wer weiß schon, daß die Beiträge zur BR 3-Reihe "Stationen" von der Redaktion Kirche und Welt "verantwortet" werden6. Großen Zuspruches können sich die Magazine, die zumeist soziale oder ethische Probleme unter christlicher Perspektive behandeln, allerdings nicht erfreuen, allein "Kontext" konnte seinen Platz im Abendprogramm des ZDF behaupten7. Erfolgreicher im Kampf um die Quoten sind da schon die diversen Pfarrerserien; aber die liegen in der Verantwortung der (weltlichen) Unterhaltungsredaktionen und fallen nicht unter die den Kirchen zustehenden Sendezeiten.

Anderen Weltanschauungsgemeinschaften stehen solche Sendemöglichkeiten, wenn auch in wesentlich geringerem Umfang, ebenfalls zur Verfügung. Der Bund für Geistesfreiheit Bayern kann alle sechs Wochen Freigeistige Betrachtungen im Hörfunk unterbringen, und die Freien Humanisten Niedersachsen unterhalten eine ähnliche Sendereihe. Bis vor zwei Jahren konnten auch Hörer im Sendebereich des WDR einmal im Monat Nachrichten Aus der Freigeistigen Landesgemeinschaft empfangen. Dann fragte Geschäftsführer Dieter Grützner im März 1992 beim WDR an, ob es nicht möglich sei, bei Radio Dortmund eine ähnliche Sendereihe einzurichten. Statt eines Angebots erhielt die Freigeistige Landesgemeinde allerdings die Mitteilung, daß ihr Sendeplatz ab Juli gestrichen werde. Denn, so Hörfunkdirektor Manfred Jenke, "in §8 Abs. 3 WDR-Gesetz wird ausschließlich den Evangelischen Kirchen, der Katholischen Kirche und den jüdischen Kultusgemeinden das Recht zugestanden, sich vom WDR auf ihren Wunsch angemessene Sendezeiten... einräumen zu lassen"8. Die Tatsache, daß die BRD eben kein weltanschaulich neutraler Staat ist, hätte kaum eindrucksvoller demonstriert werden können.

gs

Anmerkungen: